T VON VIKTORIA SOLMS
Kaum eine Frage bewegt Berlin derzeit so sehr wie ein möglicher Weiterbetrieb des Flughafens Tegel. Fast jeder Berliner hat hier schon einmal Freunde empfangen,
Familienmitglieder verabschiedet oder ist selbst in die Ferne aufgebrochen. Wohl auch wegen der besonderen Bedeutung des Flughafens während der Teilung der
Stadt wird die Debatte über einen Fortbestand von Tegel fast nur emotional geführt.
Der Berliner FDP-Landesvorsitzende Martin Lindner, der seine Partei auch im Bundestag vertritt, will diese Frage daher nun einmal rechtlich klären lassen.
Aus diesem Grund hat Lindner zusammen mit zwei anderen Abgeordneten eine Anfrage an den Wissenschaftlichen Dienst des Bundestages gestellt.
Lindner will prüfen lassen, ob es unter den derzeitigen rechtlichen Gegebenheiten möglich ist, auch nach der Inbetriebnahme des BER am Flughafen Tegel den
ganz normalen Linienbetrieb oder zumindest den militärischen Flugverkehr weiter laufen zu lassen. Sollte das nicht zutreffen, sollen die Mitarbeiter des wissenschaftlichen
Dienstes darlegen, welche rechtlichen Voraussetzungen „Bundestag und Bundesregierung sowie die Parlamente und Regierungen der Länder Berlin und Brandenburg gegebenenfalls herbeiführen“
müssten, um einen Weiterbetrieb von Tegel als Verkehrsflughafen zu ermöglichen, heißt es in dem Antrag, der der Berliner Morgenpost vorliegt.
Breite Unterstützung „Die meisten Berliner und Gäste schätzen den Flughafen Tegel sehr“, sagt Lindner. Auch zeichne sich jetzt schon ab, dass die
Kapazitäten am BER langfristig kaum ausreichen werden, um den Bedarf zu decken. „Vor diesem Hintergrund ist es nur vernünftig, alles zu prüfen und auszuloten,
um den Flugbetrieb in Tegel zu erhalten.“ Rechtlich könnte es dafür mehrere Ansatzpunkte geben. So könnte es möglicherweise genügen, wenn das Land Berlin den
Widerruf der Betriebsgenehmigung für den Flughafen Tegel vom 29. Juli 2004 zurücknimmt.
Genauso gut könnte auch die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung der Flughafengesellschaft einfach eine neue Betriebsgenehmigung für Tegel erteilen.
Falls allerdings ein neues Planfeststellungsverfahren initiiert werden müsste, will die FDP vom wissenschaftlichen Dienst eine Einschätzung erfahren, wie
groß die Erfolgsaussichten dafür sind.
Auf ihrem Landesparteitag am Wochenende hatten die FDP-Delegierten die Klärung all dieser Fragen mit breiter Zustimmung zu einem entsprechenden
Dringlichkeitsantrag unterstützt. Sie fordern „eine Überprüfung und Aktualisierung der prognostizierten Verkehrsentwicklung und des Luftverkehrsbedarfs“,
um auf dieser Basis den Planfeststellungsbeschluss für den BER zu ändern.
Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer (CSU) rechnet nicht mehr mit einer Eröffnung des BER vor 2015. Insofern ist es schon ein Fortschritt, dass der BER zumindest
abseits des Flugbetriebs genutzt werden kann. So fand am Montag im neuen Besucherzentrum am BER die 85. Sitzung der Brandenburger Fluglärmkommission
statt. Dabei handelt es sich um ein beratendes Gremium, dem unter anderem Vertretern von Gemeinden, Ministerien, Flughafen und Airlines angehören. In der
Vergangenheit war die Kommission insbesondere mit dem Streit um die Flugrouten am BER befasst.
Laut Beschluss des Gremiums soll die Flughafengesellschaft ab Oktober 2013 am alten Flughafen Schönefeld zwischen 23.30 und 5.30 Uhr keinen planmäßigen Flugbetrieb mehr zulassen, sondern nur
noch verspätete oder verfrühte Flieger abfertigen. Militärische Flieger und Flugzeuge der Post sollen davon nicht betroffen sein. Derzeit gilt am alten Flughafen Schönefeld noch kein Nachtflugverbot.
Die Kommission würde damit schon einen Teil der Regelungen vorwegnehmen, die für den BER vorgesehen sind. Zwar seien davon laut Michael Bayr kaum Flugzeuge betroffen, sodass der Effekt für die
Anwohner kaum spürbar sei. „Allerdings geht es uns mit der Maßnahme vor allem darum, Vertrauen zu schaffen“, so Bayr. Die anwesenden Vertreter der Airlines sahen
dennoch keine Notwendigkeit dafür, die Nachtruhe schon vorzeitig einzuführen.
Sie wollen nun Zahlen zu den Flugbewegungen zusammentragen um weiter darüber zu diskutieren. Die Fluglärmkommission will nun als erstes die Stellungnahme der Flughafengesellschaft abwarten.
Ein weiteres wichtiges Thema bei der Sitzung war die Auseinandersetzung mit der EU-Kommission. Dabei geht es um die Frage, ob der Müggelsee überflogen werden darf. Die Anwohner kritisieren, dass
bei der Festlegung der künftigen Flugrouten keine Umwelt-Verträglichkeitsprüfung für das ausgewiesene Flora-Fauna-Habitat rund um den Müggelsee und das angrenzende Vogelschutzgebiet durchgeführt
worden war. Sie reichten daher eine Klage ein und verbuchten einen ersten Erfolg für sich. Die EU-Kommission ging nämlich auf ihre Argumentation ein und drohte Deutschland mit einem sogenanntes
Vertragsverletzungsverfahren. „Zwischen der Kommission und der Bundesregierung hat es daher Gespräche gegeben“, sagt Nikolaus Herrmann, Direktor des Bundesaufsichtsamt für Flugsicherung
(BAF). Die Regierung muss nun weitere Informationen nachreichen. Herrmann geht anders als die Kläger davon aus, dass Brüssel damit zufrieden sein wird.
Streit um Flugrouten Allerdings ist dies nicht der einzige Streitpunkt, den es in Bezug auf die künftigen Routen des BER zu klären gibt. Auch die Auseinandersetzung um die sogenannte
Wannseeroute geht weiter. Laut Herrmann werde das BAF gegen das Urteil des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg (OVG) in Revision gehen. Das sei schon wegen der grundsätzlichen Bedeutung
des Themas notwendig. Im Kern geht es darum, ob das Risiko eines terroristischen Anschlags oder eines Flugzeugabsturzes bei Überflug des atomaren Forschungsreaktor des Helmholtz-Zentrums in Wannsee bei der Festlegung der Flugrouten
ausreichend berücksichtigt worden ist. Das ist nach Ansicht der Kläger nicht der Fall. Auch das Oberverwaltungsgericht schloss sich im Januar dieser Auffassung an. Die Richter erklärten die Route daher für rechtswidrig.
Bis zur nächsten Sitzung im Oktober bleibt die Fluglärmkommission ohne Vorsitzende. Laut der scheidenden Chefin Kathrin Schneider konnte sich die Kommission nicht auf einen neuen Namen einigen. „Wir versinken deshalb aber nicht im
Chaos, die Arbeit in der Geschäftsstelle geht regulär weiter“, so Schneider. Zuvor hatte sie die Leitung des Gremiums abgeben, da sie im Januar zur Staatssekretärin im brandenburgischen Verkehrsministerium
ernannt worden war. Beide Ämter sind aufgrund rechtlicher Regelungen nicht miteinander vereinbar.
Im Anflug Die Lärmbelästigung in Schönefeld soll ab Oktober verringert werden Bundestag prüft Weiterbetrieb von Tegel Juristen sollen klären, ob der Flughafen offen bleiben kann. Wannsee-Flugrouten erneut vor Gericht
PA/ZB/DPA/PATRICK PLEUL