Abgelenkte Piloten und unerfahrene Fluglotsen in den USA: Zahl der Beinahe-Zusammenstöße von Flugzeugen steigt

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    In den USA steigt die Gefahr von Flugzeugkollisionen. In fast 2000 Fällen wurde der Sicherheitsabstand unterschritten - einige Male waren es nur wenige Meter, die zur Katastrophe fehlten. Ursache ist nicht nur ein Anstieg der Flugbewegungen, sondern auch ein Generationswechsel bei den Fluglotsen.


    Von Rüdiger Paulert, ARD-Hörfunkstudio Washington


    "Sie müssen sofort nach rechts abdrehen, nach rechts, da ist einer unter Ihnen." Mit energischer Stimme verhinderte ein Fluglotse im vergangenen Juli eine Kollision auf dem New Yorker John F. Kennedy Flughafen. Ein Pilot einer ecuadorianischen Fluggesellschaft wollte irrtümlicherweise auf einer Landebahn aufsetzen, auf der ein anderes Flugzeug gerade zum Start bereit stand. Dies beobachtete ein Pilot von Delta Airlines und informierte die Flugsicherung. Als die Gefahr gebannt war, bedankte sich der Fluglotse. "Mach Dir keine Sorgen", antwortete der Delta-Pilot.


    Noch enger war es im vergangenen Juli in Minneapolis. Auf zwei parallelen Startbahnen hoben gleichzeitig ein A320 von US Airways mit 95 Personen an Bord und eine zweistrahlige Frachtmaschine ab. Beide sollten nach dem Start nach rechts schwenken. Als sie gerade in den tief hängenden Wolken verschwunden waren, hörten die Passagiere das Motorengeräusch der Frachtmaschine. In nur 17 Metern Abstand sauste sie unter dem Passagierflugzeug hindurch. Bei den Fluglotsen hatte es gerade wegen des Schichtwechsels Wachablösung gegeben - ohne dass der Informationsfluss sichergestellt war.


    Rund 2000 Beinahe-Kollisionen


    In fast 2000 Fällen wurde so oder so ähnlich im vergangenen Jahr der vorgeschriebene Sicherheitsabstand zwischen Flugzeugen von rund fünf Kilometern beziehungsweise 350 Höhenmetern unterschritten. In 44 Fällen war es besonders brenzlig. Allein 15 Mal davon im Umfeld der US-Hauptstadt Washington. Gemessen an über 130 Millionen Flügen im vergangenen Jahr in den USA ist das nicht viel. Doch immerhin hätte es fast 2000 Mal zur Katastrophe kommen können.


    Die US-Luftfahrtbehörde FAA bestätigte die Zahlen, wollte sich aber nicht in einem Interview dazu äußern. Ihr Chef Randy Babitt hatte vor wenigen Monaten noch an die Aufmerksamkeit der Piloten appelliert und auf einer Versammlung gesagt: "Wir können viel mit Technik verhindern. Aber wir können nichts gegen Unaufmerksamkeit machen oder gegen Ablenkungen, die der Pilot besser nicht beachtet hätte."


    "Schlampiger Umgang mit Sicherheitsvorschriften"


    In einem internen Papier der US Flugsicherheitsbehörde, das der angesehenen Zeitung "Washington Post" vorliegt, kritisiert FAA Chef Babbitt auch die Fluglotsen ganz massiv. Die Zeitung zitiert ihn mit den Worten: "Es hat einen definitiven Anstieg in schlampigem Umgang mit oder mangelhafter Befolgung der Sicherheitsvorschriften gegeben".
    Erfahrene Fluglotsen gehen in Pension


    Doch dies ist es nicht allein. Die Steigerung dieser Beinahe-Unfälle um 51 Prozent innerhalb eines Jahres hat auch mit dem Generationswechsel bei den Fluglotsen zu tun. Gegenwärtig rollt eine Pensionierungswelle über die US-Flugsicherung hinweg. Dabei erfolgt die Ausbildung der Nachfolger über weite Strecken als 'Training on the Job'. Zudem übernehmen die Jungen oft die Marotten der alten Hasen, ohne aber über deren Erfahrung zu verfügen. Außerdem stockt die Modernisierung der amerikanischen Flugsicherung aus finanziellen Gründen.


    Auch deshalb wäre es im letzten Jahr in Anchorage in Alaska beinahe zum Desaster gekommen: Ein Airbus 319 und eine Boeing 747 mit Hunderten von Passagieren an Bord entgingen hier nur knapp einer Kollision und damit einer Katastrophe. In diesem Fall hat die Nationale Transportsicherheitsbehörde der USA die Ermittlungen übernommen.